Missing Link: Karten-Pionier Schweden entdeckt die Bedeutung von Bargeld neu

Die schwedische Riksbank betont plötzlich die unverzichtbare Rolle von Bargeld für sichere, allgemein verfügbare Zahlungssysteme. Das ist ein Strategiewechsel.

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Verschiedene Euro-Scheine auf einem Haufen.

Cash ist King – aber wie lange noch?

(Bild: AlAnton/Shutterstock.com)

Lesezeit: 11 Min.
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"Schweden schafft das Bargeld ab" oder "Die erste bargeldlose Gesellschaft der Welt entsteht". Mit solchen Schlagzeilen machten deutsche Zeitungen vor gut zehn Jahren auf. 2013 etwa sorgte vor allem das große schwedische Finanzinstitut Swedbank für Aufsehen, weil es auch in seiner traditionellen Filiale an der Einkaufsstraße Östermalmstorg kein Bargeld mehr ausgeben oder annehmen wollte – in einem Stadtteil, in dem über ein Viertel der Bevölkerung über 60 Jahre alt sind. Diese Klientel hatte damals – wie heute – noch das größte Faible für Bargeld, sodass die Ankündigung auch Symbolwirkung hatte.

"Missing Link"

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Immer mehr schwedische Banken stellten zu diesem Zeitpunkt den Bargelddienst in den Filialen ein. Sie setzten zunächst voll auf Kreditkarten, die Transaktionen komplett nachvollziehbar machen. Doch Experten warnen vor einer "Welt ohne Bargeld". Gegenüber unbaren Zahlungsmitteln bilde Cash ein wichtiges Korrektiv im Zahlungsverkehr mahnt etwa das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Keine Karte und schon gar virtuelle "Münzen" wie Bitcoin erreichten "ein ähnlich hohes Inklusionsniveau" oder einen vergleichbaren Schutz der Privatsphäre. Zudem vergrößere sich durch viele digitale Zahlungsvarianten der Einfluss von Big-Tech-Konzernen aus den USA und China auf das Finanzwesen.

Seit etwa 2020 deutet sich auch bei Bargeldlos-Pionier Schweden eine Kehrtwende an. Die dortige Politik denkt über die Notwendigkeit gesetzlicher Standards für eine Grundversorgung mit Bargeld nach. Die Regierung in Stockholm trieb schließlich nicht nur ihr Projekt zur "E-Krona" voran. Parallel brachte sie ein Gesetz auf den Weg, mit dem das Niveau der Bargeldversorgung des Jahres 2017 wiederhergestellt und gewährleistet werden soll.

Auch die schwedische Zentralbank, die Riksbank, hat jetzt im großen Stil die Kehrtwende eingeläutet: Sie betont in ihrem Jahresbericht 2024 die unverzichtbare Rolle von Bargeld für sichere und allgemein verfügbare Zahlungssysteme. Als großes Sicherheitsdefizit sieht die Nationalbank die Funktionsfähigkeit des digitalen Zahlungsverkehrs bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Stromausfällen oder auch in kritischen Situationen wie im Falle einer Cyberattacke.

Mit den bestehenden digitalen Zahlungssystemen könne die notwendige Stabilität und Resilienz nicht gewährleistet werden, schlägt die Riksbank Alarm. Daher müssten sowohl der öffentliche als auch der private Sektor die Nutzbarkeit von Bargeld sicherstellen und eine entsprechende Infrastruktur für die Geldversorgung aufrechterhalten. Denn die Zahlungsmittel seien nicht für alle Bevölkerungsgruppen jederzeit zugänglich und verfügbar.

"Das Zahlungssystem muss stabil und widerstandsfähig gegenüber Störungen in normalen Zeiten sein", betont das 1668 vom schwedischen Staat gegründete Finanzhaus. Es müsse aber auch in Krisenzeiten und bei erhöhter Alarmbereitschaft funktionsfähig sein. Es sollte daher möglich sein, mehrere Zahlungsmethoden zu verwenden. Entscheidend sei, Zahlungen auch dann durchführen zu können, "wenn es zu einer Störung in irgendeinem Teil des Zahlungssystems kommt".

"Der schwedische Zahlungsmarkt wurde rasant digitalisiert", konstatiert die Riksbank. Bargeld und manuelle Zahlungsdienste seien durch Karten, Mobiltelefone und Internetdienste ersetzt worden. "Dadurch sind Zahlungen insgesamt schneller, reibungsloser und günstiger geworden", verweist das Institut auf "eine positive Entwicklung". Es gebe jedoch Gruppen in der Gesellschaft, "die keinen Zugang zu digitalen Zahlungsdiensten haben oder diese nur schwer nutzen können und daher marginalisiert werden". Ferner bestünden "schwerwiegende Betrugsprobleme, die das Vertrauen in das Zahlungssystem untergraben könnten".

Die Digitalisierung mache Zahlungen "auch anfälliger für Cyberangriffe und Störungen des Stromnetzes und der Datenkommunikation", gibt die Bank zu bedenken. Gleichzeitig erforderten die geopolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre, "dass Schweden über einen starken Zivilschutz verfügt". Die Entwicklungen legten nahe, "dass wir uns stärker als bisher auf die Herausforderungen der Digitalisierung konzentrieren sollten".

Die Riksbank selbst steuere bereits gegen. Durch die Einrichtung neuer Büros, in denen Unternehmen Bargeld abholen und einzahlen können, verbessere sie die Bargeldversorgung. Wenn solche Cash-Depots an mehr Standorten im ganzen Land vorhanden wären, verringerten sich sowohl die Kosten für Unternehmen als auch das Risiko, dass Bargeld im Falle einer Störung kaum mehr verwendet werden könne.

An die Regierung und den Reichstag appelliert das Institut, neue Gesetze zur Bargeldverwaltung einzuführen: "Als allgemeine Regel müssen Händler, die lebenswichtige Güter verkaufen, zur Annahme von Bargeld verpflichtet werden". Nur so sei zu gewährleisten, "dass jeder bezahlen kann". Generell sei ein "stärkerer Rechtsschutz für Bargeld" nötig. Banken sollten verpflichtet werden, "Bargeldeinlagen, einschließlich Münzen, von Privatpersonen anzunehmen".

Ihre Forderungen untermauert die Riksbank mit dem Verweis auf eine jährlich durchgeführte repräsentative Umfrage zu den Zahlungsgewohnheiten der Schweden. Demnach werde "Bargeld häufiger als zuvor verwendet". Fast die Hälfte der Befragten hat angegeben, im vergangenen Monat Bargeld genutzt zu haben, was einem Anstieg von 15 Prozentpunkten gegenüber 2022 entspricht.

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Zugleich zeigen andere Daten, dass die Bargeldnutzung eher weiter zurückgegangen ist. Das entspreche auch dem Trend aus mehreren Jahren, so die Riksbank. So sei 2023 erneut weniger an Geldautomaten abgehoben worden, der Bargeldumlauf insgesamt um 10 Prozent gesunken. Eine mögliche Erklärung für die angegebene erhöhte Nutzung von Bargeld könnte sein, dass Privatpersonen Reserven angezapft haben, "nachdem Russland im Jahr 2022 seine groß angelegte Invasion in der Ukraine startete".

Parallel entscheiden sich immer mehr Menschen dafür, statt einer physischen Bezahlkarte ihr Mobiltelefon mit Diensten wie Apple Pay, Google Pay oder Samsung Pay einzusetzen. In der Riksbank-Umfrage 2023 gaben 63 Prozent an, bei ihrem letzten Einkauf im Geschäft eine Debitkarte gezückt zu haben. Das sind 10 Prozentpunkte weniger als 2022. Gleichzeitig erklärten 9 Prozent, mit ihrem Smartphone gezahlt zu haben, fast doppelt so viel wie 2022. Als wichtigsten Grund dafür nannten sie, dass dieser Mechanismus "einfach und bequem" sei.